Sind die klassischen Strategietools noch relevant?

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November 2015
10 Minuten
Der klassische Strategieprozess hat sich im 20. Jahrhundert entwickelt. (Bild: bizvector/shutterstock.com)

In Managementtheorie und -praxis ist es heute allgemein anerkannt, dass die Unternehmensumwelt durch stark ansteigende Komplexität, Dynamik und sinkende Vorhersagbarkeit geprägt ist. Diese Situation erfordert von Unternehmensleitung und Strategieverantwortlichen neue Denk- und Handlungsansätze.

Dessen ungeachtet sind die traditionellen Tools der strategischen Planung weiterhin populär. Laut der im Sommer 2015 veröffentlichten Management Tools & Trends Studie von Bain nimmt die strategische Planung in Sachen Nutzungshäufigkeit den vierten Platz der 25 untersuchten Methoden ein. Bei der Zufriedenheit der Anwender erreicht sie Note 3,9 von 5,0 und damit Platz sieben.

Tatsächlich haben sich die klassischen Strategietools über Jahrzehnte bewährt. Sie stehen jedoch zunehmend unter Kritik, da sie nicht für die heutige dynamische Unternehmensumwelt entwickelt wurden.

Dieser Artikel beginnt mit einer kurzen Darstellung des klassischen Strategieprozesses und der bekanntesten Tools. Danach geht er auf verschiedene Kritikpunkte ein. Abschließend wird die Eignung der dargestellten Tools und Prozesse für die heutige Zeit neu gewertet.

Der traditionelle Strategieprozess ist stark auf die Analyse fokussiert

Der klassische wie er in diesem Artikel beschrieben ist hat sich im 20. Jahrhundert entwickelt. In dieser Zeit entstanden multinationale und diversifizierte Großunternehmen, die dann globale Konglomerate formten. Der Wettbewerb nahm ebenso zu wie die internationalen Warenströme. Konzepte wie Positionierung, Analyse, strategische Optionen und Portfoliomanagement waren eine Antwort auf diese zunehmende Komplexität der Nachkriegsökonomie.

Trotz zahlreicher Variationen kann man folgendes allgemeine Modell des strategischen Planungsprozesses beschreiben (nach Mintzberg):

Abbildung: Modell des strategischen Planungsprozesses (nach Mintzberg)

Dieser Standardansatz geht davon aus, dass Strategien auf der Basis der unternehmerischen Vision, Mission und Ziele entwickelt werden und zu deren Erreichung führen sollen.

Der eigentliche Strategieprozess beginnt dann mit einer ausführlichen Analysephase:

  • Im Rahmen der internen Analyse werden Stärken und Schwächen identifiziert.
  • Im Rahmen der externen Analyse werden Chancen und Risiken im Unternehmensumfeld identifiziert.

Diese Ergebnisse werden in der bekannten Swot-Analyse zusammengefasst. Daneben gibt es zahlreiche Tools, die bei der internen und externen Analyse zum Einsatz kommen können, z. B. die PEST(LE), Porters 5 Forces, die Wertekettenanalyse oder das 7-S-Modell.

Nach der Analyse sollten die Unternehmen eine klare Vorstellung davon haben, auf welche Stärken (die sie idealerweise von den Wettbewerbern differenzieren) sie sich stützen können, um Marktchancen auszunutzen oder Risiken zu begegnen. Die Unternehmen kennen dann auch ihre Schwächen, an denen sie arbeiten müssen oder die ihre strategischen Handlungsmöglichkeiten einschränken.

Auf dieser Basis können die Unternehmen verschiedene strategische Optionen entwickeln. Auch für diesen Schritt gibt es diverse Tools, wie Ansoff’s Matrix, die sogenannte Boston Box oder Porters generische Strategien. Im Kern leiten diese meist zu einer konkreten strategischen Positionierung hin.

Danach werden die Optionen beurteilt, um eine Entscheidung treffen zu können.

Dieser Standardprozess unterstellt, dass sich die Unternehmen für eine Strategie entscheiden sollten, und danach in die Finanzplanung und die Implementierungsphase eintreten. Selbstverständlich ist es dabei hilfreich, ein oder zwei Alternativstrategien festzulegen, falls sich die Marktbedingungen anders als erwartet entwickeln.

Ein solcher Strategieprozess wird regelmäßig wiederholt. Viele Unternehmen folgen dabei einem festen Zyklus von einem oder mehreren Jahren. Im Rahmen jährlicher Reviews kann die Strategie soweit nötig adjustiert werden. Insgesamt geht man jedoch davon aus, dass eine Strategie über mehrere Jahre Bestand haben sollte.

Die geänderten Rahmenbedingungen stellen andere Anforderungen an den Strategieprozess

Der hier beschriebene klassische Strategieprozess ist bereits seit Jahren umstritten. Henry Mintzberg kritisierte schon in seinem erstmals 1994 erschienenen Buch Aufstieg und Fall der strategischen Planung, dass dieses Vorgehen extrem formalisiert und auf die Analyse fokussiert ist. Später schrieb er in Strategie Safari, dass so eine strategischer Plan entwickelt wird. Pläne sind jedoch von Natur aus unflexibel. Sie sollen dem Unternehmen ja gerade Orientierung und Stabilität geben.

Auch die Abhängigkeit von dem Dreiklang aus „Vision, Mission and Objectives“ steht in der Kritik. Dieser Ausgangspunkt wurde bereits vor der strategischen Analyse festgelegt und ist somit stark in der Vergangenheit verankert. Er schließt jede Strategie, die nicht auf die vorher festgelegten unternehmerischen Ziele abzielt, von vornherein aus. Doch gerade diese Visionen und Mission Statements sind oft sehr unkonkret und bieten damit wenig echte Orientierung.

Richard Rumelt schreibt in Good Strategy/Bad Strategy:

Many bad strategies are just statements of desire rather than plans for overcoming obstacles.

All diese Kritikpunkte werden heute noch verstärkt durch das geänderte Unternehmensumfeld. Die meisten der klassischen Tools und Prozesse wurden noch in einer Ära der relativen Stabilität und Vorhersehbarkeit entwickelt. Die bestehende Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft konnte lange schon durch die Berücksichtigung von Szenarien hinreichend abgefangen werden.

Heute hat sich diese Situation gravierend geändert. Die klassischen Tools sind immer weniger geeignet für die Wertung oder gar Vorhersage von disruptiven Veränderungen, die Neuordnung von Werteketten, die Entstehung IT-getriebener völlig neuer Geschäftsmodelle usw.

Chris Ertel und Lisa Kay Solomon haben dafür in ihrem Buch Moments of Impact den Begriff VUCA-Welt bekannt gemacht:

Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity
Volatitlität, Unsicherheit, Komplexität, Uneindeutigkeit

Heute hat sich allein schon das Tempo der Veränderungen im Unternehmensumfeld rapide erhöht. Ein stark analysebasierter Prozess einschließlich Informationssammlung und -aufbereitung kann mit diesem Tempo oft nicht mithalten. Auch die Komplexität der zahlreichen Zusammenhänge und Wechselwirkungen kann er kaum noch abbilden.

Die typischen Reaktionen darauf kann man in zahlreichen Unternehmensstrategien ablesen:

  • Strategen neigen oft dazu, sich auf das zu konzentrieren, was sie am sichersten abschätzen können: die internen Stärken und Schwächen. Das führt zu Strategien, die sich auf Kernkompetenzen und inkrementelle Verbesserungen fokussieren.
  • Strategien wirken immer kurzfristiger. Sie reduzieren sich oft auf die Wiederholung klangvoller, aber recht allgemeiner Langfristziele und ein Bündel eher kurzfristiger Maßnahmen.

Der Einsatz der klassischen Strategietools hat sich geändert

Ist der klassische Strategieprozess mit seinen bekannten Tools unter diesen Rahmenbedingungen überhaupt noch sinnvoll?

Es besteht kein Zweifel, dass eine strategische Planung, wie sie in den letzten Dekaden des vergangenen Jahrhunderts üblich war, heute nicht mehr zielführend ist. Allerdings sollte man damit nicht gleich den Nutzen eines planvollen Prozesses an sich in Frage stellen. Auch der gezielte Einsatz einzelner geeigneter Tools ist in Abhängigkeit von Unternehmen und Branche weiterhin möglich.

Ertel und Solomon sprechen in diesem Zusammenhang von „technischen Herausforderungen“. Diese können ebenfalls komplex sein, liegen aber im Rahmen der gut verstandenen Umwelt. Treten solche exakt definierten Probleme auf, sind die klassischen Ansätze weiterhin geeignet.

Der große Vorteil dieser Methoden liegt ferner darin, dass sie weithin bekannt sind. Manager und Planungsspezialisten kennen und verstehen die einzelnen Elemente. Durch Berater wurde viel Methodenunterstützung geleistet. Ein solcher Prozess ist meist fest im Unternehmen verankert und akzeptiert.

Die hohen Zufriedenheitswerte aus der o. a. Bain Studie lassen zwei Rückschlüsse zu:

  • Ein Teil der Unternehmen wird die klassischen Methoden weiterhin einsetzen, weil die betriebswirtschaftliche Forschung einfach noch nicht in ausreichendem Umfang besser geeignete, aber auch praktisch einsetzbare Tools hervorgebracht hat.
  • Die Mehrzahl der Unternehmen dürfte ihre Prozesse zur Strategieentwicklung bereits schrittweise adaptiert und in gewissem Umfang an die neuen Rahmenbedingungen angepasst haben.

Es ist daher durchaus möglich, ausgewählte Elemente des traditionellen Strategieprozesses weiterhin einzusetzen. Sie stellen eine fundierte Basis für neuere Strategieansätze dar. Ob man nun mit den von Ertel und Solomon vorgeschlagenen strategischen Diskussionen arbeitet, oder mit dem von Alexander Osterwalder et al entwickelten Business Model Canvas – sie alle setzten eine gründliche Analyse der Ausgangssituation voraus.

Dafür können auch die etablierten Tools gut eingesetzt werden. SWOT und viele andere bekannte Tools sind letztlich eingängige und zusammenfassende Darstellungen von Analyseergebnissen.

Einige Einschränkungen bzw. Ergänzungen sind dabei allerdings zu beachten:

  • Es gibt heute weniger als je zuvor den einen für alle passenden Standard-Strategieprozess. Unternehmen müssen ihren eigenen spezifischen Ansatz finden. Dafür sind die am besten geeigneten Tools auszuwählen.
  • Man muss sich bewusst sein, dass die Aussagen heute stärker zeitpunktbezogen sind und schnell ihre Gültigkeit verlieren können. Dauer und Häufigkeit der Analysephase können sich in manchen Branchen stark komprimieren.
  • Durch die verschwimmenden Branchengrenzen und die steigende Gefahr von „Quereinsteigern“ kann sich der Gegenstand der Betrachtungen stark ausdehnen.
  • Es sollte stets überlegt werden, ob der Strategieprozess nicht durch geeignete neuere Methoden ergänzt wird.
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